Evolution in der Glaskugel

Kann man den künftigen Verlauf der Evolution vorhersagen? Und was würde passieren, könnte man das „Band des Lebens“ noch einmal von vorne abspielen? Das Buch „Glücksfall Mensch“ des amerikanischen Zoologen Jonathan Losos rollt dieses berühmte Gedankenexperiment des Paläontologen Stephen J. Gould wieder auf.

(Der folgende Artikel erschien zuvor im Magazin Laborjournal, Ausgabe 6/2018).

Eine Megaplattenpyramide wächst hinter Zack Blount an die Decke. Wie viele Petrischalen es wohl sind, fragt sein Mentor Richard Lenski, der das Foto seines Mitarbeiters bei Twitter veröffentlichte. Genug jedenfalls, um Respekt vor Blounts Durchhaltevermögen zu haben.

Ein guter Teil seiner praktischen Laborarbeit der vergangenen Jahre war wohl unspektakulär bis öde: Bakterien weitertransferieren, Bakterien auf Platten ausstreichen, Bakterien einfrieren, und dann alles wieder von vorne, über Jahre hinweg.

Aber das Lenski-Labor hat mit geduldiger Mikrobiologie das Wissen über die Evolution entscheidend vorangebracht. Denn die Plattentürme und die eingefrorenen Escherichia-coli -Stämme der experimentellen Evolutionsbiologen aus Michigan sind eine Zeitmaschine. Sie hilft dabei, eine Frage zu beantworten, die seit einiger Zeit wieder heiß diskutiert wird: Welche Rolle spielt der Zufall in der Evolution?

Der 2016-er Plattenturm von Zachary Blount. 12583 Stück.
(Photo: Z. Blount)

Klar ist: Evolution ist blind, sie schaut nicht in die Zukunft. Weiterlesen

Die Bausteine des Lebens – Interview mit Thomas Carell

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Im Auftrag von Laborjournal, dem Servicemagazin für Lebenswissenschaftler, durfte ich mich kürzlich mit Prof. Thomas Carell (LMU München) über präbiotische Evolution unterhalten; also über die Frage, wie vor mehr als 3,5 Milliarden Jahren das Leben aus unbelebter Chemie entstanden sein könnte.

Die „Origin-of-Life“-Forschung ist ein ebenso spannendes wie kompliziertes Forschungsgebiet. Denn anders als z.B. bei der exzellent belegten Evolution der Pferde haben die Ereignisse, die ganz zu Beginn zur Entstehung des Lebens führten, keine direkten Spuren in Form von Fossilien hinterlassen. Trotzdem können Chemiker und Geologen plausible, nachprüfbare Szenarien entwerfen, wie die Entstehung des Lebens vor sich gegangen sein könnte. Und manche dieser Ereignisse haben Spuren in heutigen Genomen hinterlassen, „molekulare Fossilien“ sozusagen.

Eine Frage, die Chemiker wie Thomas Carell dabei besonders interessiert, sind mögliche Synthesewege, die zu den Bausteinen der RNA und DNA führten.

Mit freundlicher Erlaubnis von Laborjournal geben wir hier das Interview mit Prof. Carell wieder (ursprünglich erschienen in Ausgabe 4/2018) Weiterlesen

Vergessene Archäologie: Steinwerkzeuge so alt wie Dinos?

brandt-vergessene-archaeologieSteine, wie von Menschenhand bearbeitet: Immer wieder stößt man auf solche Funde, die mit ihren Formen und Bruchkanten an steinzeitliche Werkzeuge (Steinartefakte) erinnern. Einige dieser sogenannten Eolithen sind über 50 Millionen Jahre alt. Nur: Damals, im sogenannten Tertiär, gab es noch gar keine Menschen!

Muss also die Menschheitsgeschichte umgeschrieben werden, wie der Autor Michael BRANDT („Vergessene Archäologie“) meint? Keineswegs! – sagt der Kreationismuskritiker Martin NEUKAMM. In seinem Beitrag erklärt er anhand wissenschaftlicher Primärliteratur und zahlreicher Experten-Aussagen, warum gesplittertes Gestein aussehen kann wie Werkzeug. BRANDTs Argumentation wird dabei umfassend kritisiert. Es wird dargelegt, warum aus wissenschaftlicher Sicht an eine Rehabilitierung der Eolithen nicht zu denken ist. Mit 36 Abbildungen.

Eine Kurzversion des Beitrags ist in der Zeitschrift Skeptiker erhältlich.

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Entstehung des Lebens in der Tiefsee

Zwei Studien lösen das Problem niedriger Ausgangskonzentrationen von Biomolekülen

lava-meer-2Die Entstehung des Lebens aus unbelebter Materie setzt relativ hohe Konzentrationen von Ausgangsstoffen (Bausteinen des Lebens) voraus, aus denen sich komplexere Moleküle bilden können.  Hohe Konzentrationen aber können in der Ursuppe sicher nur lokal vorgelegen haben. Dieser Einwand, der oft aus dem Lager der Kreationisten gegen eine natürliche Entstehung des Lebens vorgetragen wird, hat zwar kein großes Gewicht: Schon lange ist bekannt, dass sich Moleküle teils selektiv an mineralischen Oberflächen wie Eisen- und Zinksulfid, in den Poren von Tonmineralien und Meteoriten sowie in Fettsäure-Vesikeln anreichern und dort miteinander reagieren können (vgl. etwa GLAVIN & DWORKIN 2009; MULKIDJANIAN, 2009; SPIRIN 2005; WÄCHTERSHÄUSER 1988). Gleichwohl waren konkrete, empirisch untermauerte Szenarien dafür bislang Mangelware.

Im vergangenen Jahr konnte das Forscherteam um den Biophysiker Dieter BRAUN von der Ludwig-Maximilians-Universität München erstmals nachweisen, dass wasserumspülte Gesteinsporen unter dem Einfluss von Hitze (etwa in den hydrothermalen Schloten in der Tiefsee) tatsächlich günstige Reaktionsräume für die Entstehung und Anreicherung komplexer Biomoleküle wie RNA und DNA darstellen (KREYSING et al. 2015). Wichtig ist dabei vor allem, „… dass die Gesteinspore einseitig erhitzt ist, sodass die der Wärmequelle zugewandte Seite der Pore deutlich wärmer ist als die andere“, lässt BRAUN auf der Ludwig-Maximilians-Universität München verkünden, der auch Mitglied des Exzellenzclusters Nanosystems Initiative Munich (NIM) und des Center for NanoScience (CeNS) ist.

Der Effekt basiert auf dem Prinzip der so genannten Thermophorese: Befinden sich Moleküle in einem fluiden Medium, in dem ein Temperaturgefälle herrscht, bewegen sich die Moleküle von der warmen zur kalten Seite. Werden porenreiche Mineralien oder Gesteine von diesem ungleichmäßig heißen Medium umspült, sammeln sich die Moleküle in den kühleren Poren, konzentrieren sich dort auf und bleiben gefangen – das poröse Gestein wird zur „Molekülfalle“.

Inspiriert durch diese Ergebnisse modellierte kürzlich eine Forschergruppe um die Physikerin Simone WIEGAND ein solches System, um die Anreicherung eines präbiotisch wichtigen chemischen Ausgangsstoffs zu simulieren: Formamid (HCONH2), das z. B. bei verschiedenen „Ursuppen-Experimenten“ aus Atmosphärengasen entsteht und bei der Bildung komplexer Biomoleküle wie Nukleinbasen eine bisher unterschätzte Rolle zu spielen scheint, entsteht in aller Regel nur in sehr niedriger Konzentration. In dieser stark verdünnten Form ist sie für die Entstehung von Biomolekülen kaum von Bedeutung. NIETHER et al. (2016) konnten jetzt erstmals zeigen, dass eine stark verdünnte Formamid-Lösung unter bestimmten Bedingungen bis auf 85 Gewichtsprozent aufkonzentriert werden kann und somit die Entstehung von Nukleinbasen erklären könnte. (Man kann davon ausgehen, dass auch andere niedermolekulare organische Verbindungen auf diese Weise in den Kapillar-Röhren angereichert werden und somit für diverse präbiotische Synthesen zur Verfügung stehen können.) Weiterlesen

Welt mit Verstand! Eine Analyse der Replik von Felix HESS

von Uwe GROM

Wort und Wissen

Markus WIDENMEYER, aktives Mitglied der Evangelikalen-Organisation WORT-UND-WISSEN, hat mit seinem Buch „Welt ohne Gott?“ eine missglückte Kritik am wissenschaftlichen Naturalismus abgeliefert. Martin NEUKAMM, geschäftsführende Redakteur der AG Evolutionsbiologie, weist dies in einer beeindruckenden 10-teiligen Besprechungsreihe nach. Es zeigt sich: WIDENMEYERs Versuch, den Glauben an Gott vernünftig zu begründen, ist ungenügend. Als Reaktion darauf versucht sich ein WORT-UND-WISSEN-Anhänger namens Felix HESS an einer Analyse des 1. Teils der Besprechung. Er behauptet, NEUKAMM eine Reihe von Fehlern nachgewiesen zu haben: Dieser schreibe, so Felix HESS, an WIDENMEYERs Ausführungen vorbei, übergehe zentrale Aussagen, befasse sich mit Fragen, die nicht Gegenstand des Buchs seien, verstehe Argumente falsch und kritisiere Positionen, die WIDENMEYER nicht vertrete. In der vorliegenden Analyse werde ich Punkt für Punkt zeigen, dass die Vorwürfe von Felix HESS aus der Luft gegriffen sind. Es offenbart sich ein mangelhaftes Verständnis von Argumenten, teils eine falsche Darlegung derselben gepaart mit Fehlschlüssen, schlechter Philosophie sowie einem unsachlichen Schreibstil. Vor allen Dingen tut Felix HESS so, als habe NEUKAMM auf zentrale Aussagen WIDENMEYERs keine Antworten geliefert und übergeht dabei die übrigen Teile der Besprechungsreihe, in denen sich die Antworten finden.

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Aus dem Inhalt

 

– Einführung

– Stilfragen und „Polemik nach Rezept“

– Einmarsch ins Grenzgebiet: „Koinzidenz“ als Nebenkriegsschauplatz von Felix Hess

– Existenz des Universums: ein erfundener Anklagepunkt

– Ausdruck schlechter Philosophie: Das innere Wesen der Dinge

– Was sind intrinsische Eigenschaften?

– Der unhaltbare Phänomenalismus

– Schlechte Metaphysik von Felix Hess: Das Fehlen semantischer Klarheit

– Versucht sich WIDENMEYER an einer Letztbegründung oder nicht?

– Die Regelhaftigkeit der Natur: eine unerklärbare Tatsache (factum brutum)

– Gott: Der Schluss auf die beste Erklärung?

– Ist Gott plausibel oder (un-) wahrscheinlich?

– Die Frage der Beweislast

– Skurrile Methodik: Ist Gott eine spezifische Erklärung?

– Fazit, Dank und Literatur

 

 

Fazit

 

Felix HESS gibt eine enttäuschende Vorstellung. Angesicht seiner Vorwürfe hätte man durchaus eine sachliche und fundierte Auseinandersetzung mit NEUKAMMs Artikel erwarten können. Stattdessen macht er sich die Fehler und den unsachlichen Stil selbst zu eigen, die er im Artikel von NEUKAMM zu sehen glaubt. Felix HESS hätte auch besser mal noch mindestens 2 oder 3 Beträge von NEUKAMM abwarten sollen, bevor er sich hier mit Nebensächlichkeiten wie dem Koinzidenzbeispiel abmüht. Im ersten Teil legt NEUKAMM, neben der Auseinandersetzung um die WIDENMEYERsche Begriffsdefinition von Materie und Substanz, im Wesentlichen die Position des Naturalismus zum Übernatürlichen dar. Er zeigt, dass es, angesichts unseres Nichtwissens über Gott , derzeit für die Wissenschaft keine Option ist, ihn als überzeugende, erklärungsfähige Ursache für irgendetwas in unserer Erfahrungswelt zu sehen. ID-Anhänger und Kreationisten sehen das bekanntermaßen anders, das ist nicht neu. An dieser Stelle sind die Fronten somit eigentlich schon abgesteckt und die Argumente im Wesentlichen ausgetauscht. Der erste Beitrag ist vor allem eine grundsätzliche Positionsbestimmung. Mit den zum Teil schon erschienenen weiteren Artikeln, in denen NEUKAMM im Detail auf die Argumente von WIDENMEYER eingeht, zeigt er dann vor allem, warum diese eben nicht für den Schluss auf die beste Erklärung geeignet sind und wo deren Schwächen liegen. Felix HESS macht indes ein ziemliches Buhei um Petitessen und fühlt sich offensichtlich für Markus WIDENMEYER stellvertretend gekränkt.

Quelle

 

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2016/welt-mit-verstand-replik-felix-hess.html

http://ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2016/welt-mit-verstand-replik-felix-hess.pdf

Die Endosymbiontentheorie

Allgemeine Grundlagen, Fakten, Kritik

Im vorliegenden Artikel wird die Endosymbiontentheorie (EST) ausführlich erklärt und argumentativ dargelegt. Grundlagen werden erörtert und Befunde aus der Fachliteratur zusammengestellt, endosymbiosedie die EST belegen. Des Weiteren werden zentrale kreationistische Einwände gegen die EST durch die Fachliteratur entkräftet. Es werden neuere Daten und Experimente vorgestellt, die tiefere Einsichten in die molekularen Mechanismen liefern, durch die sich die Genome der eukaryotischen Zellen seit ihrer Entstehung vor fast zwei Milliarden Jahren herausgeschält haben. Mit neuen Methoden und gentechnischen Verfahren ist es möglich, Prozesse, die normalerweise in erdgeschichtlichen Zeiträumen ablaufen, im Zeitraffer experimentell nachzuvollziehen. Ungeachtet offener Detailfragen gilt die EST heute als so wohl bestätigt, dass keine vernünftigen Zweifel mehr an ihr bestehen.

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Aus dem Inhalt

– Einleitung: Die Endosymbiontentheorie

– Primäre, sekundäre und tertiäre Endosymbiose

– Fakten und Belege für die Endosymbiontentheorie

– Kreationistische Kritik: Offene Detailfragen, Gentransfer und Proteinimport

– Die Verwechslung von Grundfrage und Mechanismenfrage

– Endosymbiotischer Gentransfer: Ein Dreiphasenmodell

– Gentransfer im Zeitraffer

– Aktivierung transferierter Gene

– Sortierung und Import von Proteinen: Evolution von Zielsequenzen

– Proteintransportsysteme: Translokasen

– Chaperone (Hilfsproteine) und Peptidasen

– Weitere Belege für das Dreiphasenmodell der Endosymbiose

– Kritik: Energiegewinnung – treibende Kraft der Symbiose?

– Weitere Einwände zu Detailfragen

– Zusammenfassung und Ausblick

– Literatur

Zusammenfassung und Ausblick

Die Endosymbiontentheorie (EST) ist, gemessen an neueren Erkenntnissen, so wohl bestätigt wie nie. Nicht nur, dass immer mehr cytologische und molekularbiologische Daten die EST untermauern, auch eine Reihe von Experimenten der vergangenen Jahre hat erste Einsichten in die molekularen Mechanismen geliefert, durch die sich die Genome der eukaryotischen Zellen seit ihrer Entstehung vor fast zwei Milliarden Jahren herausgeschält haben. So laufen intrazellulärer Gentransfer und die Genaktivierung im Zellkern wesentlich häufiger ab, als noch vor wenigen Jahren angenommen. Mit neuen Methoden und gentechnischen Verfahren ist es möglich, diese Prozesse im Labor in einem Zeitraum von Monaten und Jahren modellhaft ablaufen zu lassen. Dies eröffnet die Perspektive, Vorgänge, die normalerweise in erdgeschichtlichen Zeiträumen ablaufen, experimentell nachzuvollziehen.

Die Versuche der Evolutionsgegner gegen die Endosymbiontentheorie zu argumentieren, sind dagegen müßig und unglaubwürdig. Ihrer Argumentation liegt der Fehlschluss zugrunde, untergeordnete Detailfragen nach dem „Wie“ der Endosymbiose mit Einwänden gegen die Endosymbiontentheorie an sich (also mit der grundsätzlichen Frage nach dem „Ob“ und den sie stützenden Belegen) zu verwechseln. Die Frage, inwieweit dieser oder jener Mechanismus zureichend zur Erklärung der Endosymbiose ist oder ob dieser oder jener Vorfahr oder die primäre Triebfeder der Endosymbiose schon bekannt ist, ändert nichts an den Belegen zugunsten der EST. Darin zeigt sich, dass alle Belege und Fakten, die bezüglich der Mechanismen und Prinzipien der Endosymbiose bereits heute vorliegen, von den Evolutionsgegnern verzerrend dargestellt oder ignoriert werden. Auch der Versuch nachzuweisen, dass die EST im Laufe der vergangenen Jahrzehnte einen „erheblichen Wandel in ihrer stützenden Argumentation“ erfuhr, beweist lediglich, dass sich wissenschaftliche Theorien weiterentwickeln, dass Wissenschaft etwas Dynamisches ist und (im Gegensatz zum Kreationismus) keine statische Ansammlung von Dogmen.

Auch Versuch, anhand der Komplexität der physiologischen Zusammenhänge zwischen Eukaryontenzelle und Organellen ein Unwahrscheinlichkeits-Argument gegen die Endosymbiose aufzubauen, um es in ein Argument für Schöpfung umzudeuten, überzeugt nicht. Will man eine Betrachtung anstellen, die mit Evolution etwas zu tun hat,  muss die Art und Weise, wie erfolgreicher (funktionaler) Gentransfer zustande kam, anders besprochen werden als es die Evolutionsgegner tun. Jedenfalls sprechen derzeit weder empirische Daten noch theoretische Argumente gegen eine sich in vielen selektionspositiven Schritten vollziehende Endosymbiose, im Gegenteil: die Fachliteratur spricht eine andere Sprache.

Quelle

https://www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2011/Endosymbiontentheorie.pdf

https://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2022/endosymbiontentheorie-evolution.html

Die ‚Feinabstimmung‘ der Naturkonstanten

widenmeyer-welt-ohne-gottM. Widenmeyer: “Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus” – Teil 3

In dem Buch Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus setzt sich der Diplomchemiker und evangelikale Christ Markus WIDENMEYER mit der „Ordnung“ in der Natur auseinander und entwickelt daraus Argumente gegen den (ontologischen) Naturalismus der Naturwissenschaften. Er vertritt sogar den Anspruch, den Naturalismus widerlegt zu haben (z.B. S. 10) und betrachtet den Schluss auf einen göttlichen Ursprung der Welt als Schluss auf die beste Erklärung. Im vorliegenden 3. Teil unserer Buchbesprechung widmen wir uns dem Argument der so genannten Feinabstimmung der Naturkonstanten, die notwendig zu sein scheint, um die Entstehung von Leben im Kosmos zu ermöglichen.

 

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Zusammenfassung

Einwand 1: Die Begrifflichkeiten setzen das zu Beweisende voraus

Einwand 2: Fine-tuning stützt nicht den Supranaturalismus

Einwand 3: Der überwiegend lebensfeindliche Kosmos spricht gegen eine Feinabstimmung lokaler astronomischer Parameter

Einwand 4: Das „anthropische Prinzip“ ist trivial

Einwand 5: Die Annahme eines „Planers“ ist völlig erfahrungsresistent

Einwand 6: Ein Fine-tuning der globalen Parameter ist nicht erwiesen

Einwand 7: Das Wahrscheinlichkeitsargument ist ungültig

Einwand 8: Die großen vereinheitlichten Theorien reduzieren die Zahl der freien Parameter zur Erklärung der „Feinabstimmung“

Einwand 9: Das Fine-tuning-Argument ist eine Form des Fehlschlusses, der an das Nichtwissen appelliert (Lückenbüßer-Argument)

 

Quelle

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-3.pdf

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-3.html

Australopithecus und Homo: Wo ist das connecting link?

Anmerkungen zu dem Beitrag: „Homo habilis war kein Mensch“

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Schädel von Dmanissi

Die Fossilfunde zur Evolution des Menschen werden von der Studiengemeinschaft WORT UND WISSEN kreationistisch interpretiert: Im Mittelpunkt steht der Versuch, eine scharfe Grenze zwischen den Gattungen Homo und Australopithecus zu ziehen und jede vermittelnde Form entweder einem angeblichen Grundtyp „Mensch“, oder einem Grundtyp „Menschenaffe“ zuzuordnen. Aus dieser Sicht wird die Existenz fossil belegter, evolutionären Übergangsformen bestritten. Dieses Argumentationsschema wird anhand eines Textes von Michael BRANDT dargestellt und kritisiert. Er bestreitet die Zugehörigkeit der fossilen Arten Homo habilis und Homo rudolfensis zur Gattung Homo und damit ihren Charakter als Übergangsform. Allerdings ändert eine Umbenennung von H. habilis/rudolfensis in Australopithecus spec. einschließlich einer Neubewertung ihrer Merkmale nichts an dem Übergangscharakter der Fossilien. Zudem ignoriert BRANDT Funde und Ergebnisse, die nicht in seine Argumentation passen. Der Versuch, die Unterschiede zwischen Homo erectus und Homo sapiens zu leugnen, um sie einem „Grundtyp Mensch“ zuzuordnen, gelingt nicht. Zudem werden die absurden Konsequenzen der eigenen Position großzügig übergangen.

 

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Zusammenfassung 

Zum Text Michael BRANDTs, der die Zugehörigkeit der fossilen Arten Homo habilis und Homo rudolfensis zur Gattung Homo und damit ihren Charakter als Übergangsform bestreitet, ist Folgendes zu sagen:

  1. Eine Umbenennung von Homo habilis/rudolfensis in Australopithecus spec. einschließlich einer Neubewertung ihrer Merkmale ändert nichts an dem Mosaik- bzw. Übergangscharakter der Fossilien. Die gegenteilige Behauptung von BRANDT ist unbegründet; die von ihm zitierten Quellen stützen seine Behauptung nicht. Zudem werden die verfügbaren Daten von BRANDT einseitig interpretiert, wesentliche Fakten übergangen.
  2. Funde, die nicht in das kreationistische Grundtypen-Schema passen, werden ignoriert, auch wenn sie bereits bekannt waren. Das gilt vor allem für den frühen Homo erectus aus Dmanissi. Auch neuere Ergebnisse, die BRANDT noch nicht kennen konnte, sprechen gegen seine Position.
  3. Dass die Fossilien der Homininen mit abnehmendem Alter, trotz ihrer oft inkongruenten Mosaikmerkmale, zunehmend mehr menschähnliche (moderne) als menschenaffenähnliche (ursprüngliche) Merkmale zeigen, ist für die Beurteilung der evolutionären Hominisation und den Status von Übergangsformen wie H. habilis wesentlich. Ein Beispiel ist die Zunahme der Schädelkapazität, ein anderes die zunehmend aufwendigeren Steinwerkzeuge. Ein von BRANDT selbst genanntes Beispiel ist die immer längere Dauer der Kindesentwicklung. In dieser Hinsicht sind nicht nur H. habilis, sondern bereits die Australopithecinen connecting links, die zwischen dem letzten gemeinsamen Vorfahren von Mensch und Schimpanse und der Gattung Homo vermitteln.
  4. Auch der umgekehrte Versuch, die offensichtlichen Unterschiede zwischen Homo erectus und Homo sapiens zu leugnen, um sie einem „Grundtyp“ zuzuordnen, gelingt nicht. Der Versuch erstreckt sich bis ins Reich der reinen Fantasie, wenn zum Beispiel Homo erectus als „Seefahrer“ dargestellt wird.
  5. Die Kritik von WORT UND WISSEN verschweigt, dass ihre eigene Position nicht nur mit weitaus mehr Schwierigkeiten behaftet ist als die Lehrmeinung, sondern völlig unhaltbar ist. Deshalb vermeidet die Studiengemeinschaft, ihre eigene Alternative zur Evolution des Menschen klar darzustellen.

Quellen

 

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2015/zwischen-australopithecus-und-homo.pdf

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2015/zwischen-australopithecus-und-homo.html

Lesenswert: Creationism in Europe

Blancke, S., Hjermitslev, H.H., Kjærgaard, P. (eds.)  (2014):

Creationism in Europe.- Baltimore, Johns Hopkins University Press, Baltimore. – Geb., 276 S., ca. 38 € (Kindle edition ca. 28 €).- ISBN 1 4214 1563 1.creationism-europe

Wissenschaftliche Kritik an Darwins großer Theorie der Evolution gibt es seit dem Erscheinen der „Origin of Species“ im Jahre 1859. Darwin selbst hat den Kollegenkreis dazu aufgefordert, diese hat diese Aufforderung auf- und angenommen. Diese konstruktive Kritik hat in den vergangenen 155 Jahren Darwins Theorie vorangebracht und zu ihrer Weiterentwicklung beigetragen. Das kann man von der Kritik des Kreationismus nicht behaupten, der anstelle einer wissenschaftlich fundierten Theorie alten Mythen von der Erschaffung der Welt und der Arten der Lebewesen durch einen Gott anhängt – sei es in der Form eines Kurzzeitkreationismus, der ein Erdalter von einigen tausend Jahren annimmt, sei es in der Form des „Intelligent Design“, bei dem aus der Komplexität der „Geschöpfe“ auf die Existenz eines „Designers“, eines „Schöpfers“ geschlossen wird, ohne diesen erst einmal explizit zu benennen.

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M. Widenmeyer: „Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus“ – Teil 1

widenmeyer-welt-ohne-gottWarum verhalten sich die Dinge gesetzmäßig, woher kommt die „Ordnung“ in der Natur? Warum gibt es überhaupt etwas und nicht nichts? Was ist das „innere Wesen“ der Dinge? Woher stammen Bewusstsein und Geist? In dem Buch „Welt ohne Gott? Eine kritische Analyse des Naturalismus“ setzt sich der evangelikale Christ Markus WIDENMEYER mit solchen Fragen auseinander. Er behauptet, aus Sicht des Naturalismus der Naturwissenschaften seien all diese Fragen nicht nur „radikal unerklärt“, sondern prinzipiell unerklärbar. Er entwickelt daraus Argumente gegen den Naturalismus und behauptet, die einzig rationale Antwort auf diese Fragen sei „Gott“ (bzw. der Supranaturalismus). In diesem Buch bündeln sich die Argumente religiös motivierter Naturalismuskritik; wir wollen es daher in 10 Teilen besprechen. Teil 1 widmet sich der Frage, ob es prinzipielle Grenzen der Naturwissenschaften gibt und ob der Supranaturalismus eine (plausible) Erklärung für sie liefern kann.

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Zusammenfassung

WIDENMEYERs Naturalismuskritik scheitert an dem performativen Selbstwiderspruch, einerseits die Existenz nicht mehr hinterfragbarer Tatsachen (sog. facta bruta) als Unzulänglichkeit des Naturalismus und als Plausibilitätsargument zugunsten der Existenz Gottes zu interpretieren, andererseits aber die Gottexistenz als factum brutum voraussetzen zu müssen. Dieser Widerspruch wird nur oberflächlich zugedeckt, indem Gott als in sich verständlich bezeichnet wird, womit etwas vorausgesetzt wird, was nicht weiter begründet werden kann.

Dem Autor gelingt es nicht zu zeigen, wie der Supranaturalismus zu konkreteren Erkenntnissen oder gar zu Erklärungen gelangen könnte als der Naturalismus. Den an sich gestellten Anspruch, einen intelligibleren Lösungsansatz zu präsentieren als den Naturalismus, kann er nicht einlösen. Im Gegenteil, die Erklärungsleistung, die WIDENMEYER für den Supranaturalismus beansprucht, geht nicht über das Niveau undifferenzierter All-Erklärungen hinaus. Eine ordentliche Theorie des Übernatürlichen und der behaupteten Interaktion zwischen Gottes Geist und der Materie kann er nicht anbieten. Er unterstreicht damit ungewollt die naturalistische Grundeinsicht, dass das Verständnis der Welt nicht über sie hinaus führt. Ironischerweise wirft der Autor dem Naturalismus zu Unrecht den Gebrauch magischer Elemente vor, von denen er selbst üppig Gebrauch macht.

Der Supranaturalismus kann keine Evidenz beanspruchen, weil nichts aus der Erfahrung auf außerweltliche Planung hindeutet. Das Analogie-Argument ist nur dann scheinbar plausibel, wenn man alles, was wir über intelligente Planer wissen (etwa, dass es keine reinen Geistwesen gibt und dass sie sich nicht über die Naturgesetzlichkeit der Welt hinwegsetzen können), ignoriert und ins Gegenteil verkehrt. Daher kann sich WIDENMEYER nicht auf Rationalität, sondern nur auf den A-priori-Glaubensstandpunkt berufen, dass sich eine geistige Ordnung bei Gott aus sich selbst erklärt, wogegen alle materielle Ordnung einer weiteren Erklärung bedarf.

Oft skizziert der Autor vermeintliche Probleme des Naturalismus, die nur aus dem Blickwinkel seiner speziellen Metaphysik zu existieren scheinen, dem Selbstverständnis des Naturalismus und Materialismus jedoch widersprechen: So beruht des Autors Vorstellung von der Existenz eines unerklärbaren „inneren Wesens“ der Dinge und ihrer Eigenschaften aus materialistisch-naturalistischer Sicht teils auf einem Kategorienfehler, weil er „Eigenschaften“ und „Substanzen“ vergegenständlicht, teils auf der philosophischen Anschauung des Phänomenalismus, wonach wir nur die Erscheinungen der Dinge erkennen, nicht aber das Wesen der Dinge selbst rekonstruieren können. Diese Anschauung ist jedoch anti-realistisch, womit WIDENMEYER die Basis seiner eigenen Argumentation wegschneidet. Die Grundzüge des Naturalismus und Materialismus, die er kritisiert, hat er nicht hinreichend verstanden.

Quelle

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/pdf/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-1.pdf

http://www.ag-evolutionsbiologie.net/html/2015/widenmeyer-welt-ohne-gott-kritik-naturalismus-teil-1.html